Helden der Berge

Bekanntlich wächst man an seinen Aufgaben. Manchmal sogar hoch über sich hinaus.

Hoch hinauf ging es dieses Jahr bei der selbst gestellten Aufgabe Alpen-Cross mit dem Mountainbike.

Am 30. Juli 2022 machten sich zwei wackere Gefährten auf die Berge zu bezwingen. 300 km Entfernung galt es zurückzulegen und 4500 Höhenmeter zu erklimmen. Von Bottighofen am Schweizer Bodenseeufer bis nach Schenna bei Meran sollte uns der abenteuerliche Weg in vier Tagen führen. So der Plan. Als praktische Sportgeräte haben sich unsere beiden Cube E-Mountainbikes erwiesen. Ausführlich im Training eingefahren, gut gewartet und mit einem 625 Ah Akku ausgestattet haben sich die beiden Fahrmaschinen als verlässliche Wegbegleiter erwiesen. Das Abenteuer ohne technische Defekte zu überstehen hat den Fahrspaß erheblich gesteigert. Wegstrecke, Natur Menschen und Erlebnisse haben ihr Übriges dazu beigesteuert, den Ausflug unvergesslich zu machen. Aber dazu mehr der Reihe nach:

Samstag, 30. Juli 2022 -Tag 1 – 108 km – 550 hm

Benny und ich werden von unseren Frauen verabschiedet und mit guten Wünschen auf die Reise geschickt. Die beiden kommen am Dienstag mit dem Auto nach, beziehen unser gemeinsames Hotel in Schenna und warten auf die Ankunft der Helden der Berge. Dort werden wir uns noch ein paar Tage von unseren Strapazen erholen und pausenlos mit unserer Heldentat angeben. Ich bin mir schon jetzt ganz sicher, dass Rotwein eine erhebliche Rolle im Erholungsprozess spielen wird.

Doch zunächst gilt es die heutige Etappe zurückzulegen. Die ist nicht wirklich eine große Herausforderung. Der erste Tag dient dazu sich einzufahren und mental auf die Herausforderung einzustellen. Auch das zusammenfinden als Team findet nebenbei statt und im Laufe des Tages finden wir unser Tempo und genießen bei bestem Wetter die Sicht auf den Bodensee. Da wir Architekturverrückte sind, bemerken und bewundern wir das eine oder andere Anwesen welches nicht nur durch die Lage direkt am See auf sich aufmerksam machen kann.

Nach ca. 60 km machen wir eine Pause und kehren im Gasthaus Rohr in Lustenau ein. Der Biergarten versteht es jedoch zunächst sich geschickt vor uns zu verbergen. Irgendwann merken wir, umdrehen und zurück ist angesagt, denn Hunger und Durst sind nicht mehr zu verleugnen.  Wir verweilen eine Stunde im Biergarten bevor wir wieder gemütlich losrollen. Die Ladestation für E-Bikes lassen wir links liegen, überzeugt, die heutige Tour mit einer Ladung zu schaffen.

Es stellt sich heraus, dass der nun folgende Teil der Tagestour weder landschaftlich noch technisch glänzen kann. Es geht hauptsächlich durch bebautes Gebiet auf Radwegen entlang der größeren Straßen und der Fahrspaß bleibt förmlich auf der Strecke. Als Ausgleich beginnt es immer stärker zu regnen und wir können wenigstens unsere wasserdichte Ausrüstung ausprobieren.

Es hört bald wieder auf zu regnen und so wird es die kommenden Tage auch bleiben. Vielen Dank liebes Wetter. Ohne diese kleine Eskapade hätten wir die Regensachen völlig umsonst im Gepäck gehabt. Ein stark reduziertes Reisegepäck haben wir dabei, um die empfohlenen acht Kilo Gewicht im Rucksack, incl. zwei Liter Trinkwasser, nicht zu überschreiten. Nicht mehr mitzuschleppen, wird sich besonders in den nächsten zwei Tagen als gute Idee erweisen.

Zum Ende der Tagestour wird es doch noch interessant. Wir halten wacker auf Bludenz zu auf einem Trail direkt entlang der Ill. Links der Fluss, rechts der Wald. Der enge Trail ist extrem mit Wurzeln durchzogen, die sich heimtückisch im noch nassen Gras verstecken. In exakt demselben Moment zieht es uns beiden das Vorderrad auf einer der blanken Wurzeln weg. Da wir es schon geahnt haben, stürzen wir gekonnt und tun uns nicht wirklich weh. Mein rechter Bremshebel ist verbogen aber noch stabil und der Weiterfahrt steht nichts im Wege. Glück gehabt.

Weniger Glück habe ich mit meinem Energieverbrauch. Bei exakt 5% Restkapazität steigt der Antrieb aus und es fühlt sich an, als ob mir jemand einen Bremsklotz vor das Vorderrad gelegt hätte. Zum Glück sind es nur noch knapp zwei Kilometer bis zum Hotel in Bludenz. Es geht zunächst leicht und gegen Ende steil bergauf. Mein Kumpel Benny unterstützt, indem er mich die letzten Meter anschiebt. Dafür sind Kumpels da. Danke lieber Benny!

Das Hotel Alpstadt in Lustenau liegt strategisch günstig direkt neben einem Restaurant mit Biergarten. Die Portion Kässpatzen saugt der gepeinigte Körper förmlich auf, um die verbrauchten Kalorien wieder aufzufüllen. Das alkoholfreie Bier aus der eigenen Brauerei ist lecker und nach ein wenig Champions Leage im Fernsehen fallen wir dem Schlaf der Gerechten anheim.

Sonntag, 31. Juli 2022 -Tag 2 – 61 km – 1.440 hm

Ein voller Bauch strampelt nicht gern. Deshalb fällt das Frühstück überschaubar aus. Schade, denn es gibt jede Menge leckerer Dinge am Frühstücksbuffet. Wir versorgen unsere Athletenkörper mit der notwendigen leichten, aber kalorienreichen Kost. Dazu noch ein Espresso und schon geht es wieder los. Herrliches Wetter lockt uns auf die zweite Etappe von Bludenz nach Ischgl. Dazwischen wird uns die Bergpassage hinauf zum Zeinisjoch im Weg stehen. Bis wir den Koppser Stausee erreichen, müssen wir uns ca. 1.500 hm hinaufarbeiten. Das geht am Anfang noch ziemlich locker und zieht sich durch das Montafon gemächlich hinauf bis zum Beginn der Silvretta Hochalpenstraße.  Man merkt die zurückgelegten Höhenmeter nicht wirklich, aber ein Blick auf die verbleibende Akkukapazität spricht eine andere Sprache. Wir halten an einem schönen alten Gasthaus direkt am Fluss. Die Wirtin der Mühle-Heuriger in Gaschurn wischt gerade den Regen der Nacht von den Tischen und erklärt uns, dass wegen gestern, heute erst um 14:00 Uhr geöffnet wird. Das war wohl eine wilde Nacht mit der Hochzeitsgesellschaft vom Vorabend.

Die E-Bike Ladestation des Gasthauses ist jedoch für unsere heutige Etappe von entscheidender Bedeutung. Wenn wir hier nicht aufladen können, heißt es „Houston wir haben ein Problem“. Die Wirtin hat ein Einsehen mit uns, gestattet uns das Nachladen und wirft sogar die Kaffeemaschine für uns an. Wir werden bewirtet, dürfen die Toilette benutzen und bekommen Energie für unsere Räder obwohl eigentlich geschlossen ist. Es gibt sie noch! Hilfsbereite und freundliche Menschen. Vielen Dank für die Gastfreundschaft.

Nach dem wir Energie für Mensch und Maschine nachgetankt haben geht es weiter Richtung Partenen. Kurz nach der Mautstation, welche wir keines Blickes würdigen, geht es links auf eine wenig bis kaum befahrene schmale Straße und sogleich knackig in die Höhe. Dank Motorunterstützung gewinnen wir zügig an Höhe. Dennoch ist es eine körperliche Herausforderung bis nach oben in einem Stück durchzufahren. Nicht das kleinste Stück geht es zwischendurch geradeaus und die Willenskraft wird auf eine harte Probe gestellt. Ein fröhliches „Quäl dich du Sau“ von Benny hilft und der Ausblick zurück ins Tal tut sein Übriges.

Im Alpengasthof Zeinisjoch belohnen wir uns mit Kaiserschmarren und Topfenstrudel. Herrliche Aussicht über den Stausee auf die umliegende Bergwelt gäbe es auf der komplett überfüllten Terrasse. Nun ja, es ist Sonntag und wir befinden uns an einem sehr beliebten Ausflugsziel. Wir ärgern uns jedoch kaum, denn auf der Terrasse geht ein derart frischer Wind, dass wir gerne im Gastraum Platz nehmen und die wohlverdiente Pause im Warmen verbringen.

Die anschießende Abfahrt über Galtür nach Ischgl macht richtig Spaß und verläuft äußerst zügig. Recht früh kommen wir in Ischgl an, beziehen unser zuvor gebuchtes Hotel und machen uns daran den Ort zu besichtigen. Das ist schnell geschehen. Einmal die Hauptstraße rauf und wieder runter dauert ein paar Minuten. Wir suchen uns etwas zu Essen, trinken ein paar alkoholfreie Weizenbiere und zum Ausgleich noch einen Schluck Weißwein, um den Tag ausklingen zu lassen.

Am Abend zittern wir mit den deutschen Fußballmädels um die Europameisterschaft und gehen trotz, oder wegen der Freude über den zweiten Platz früh ins Bett.

Montag, 01. August 2022 -Tag 3 – 48 km – 1.990 hm

War gestern noch gemütliches einstimmen auf die erste Bergetappe angesagt, so geht es heute sofort richtig zur Sache. Es beginnt mit der Rampe aus der Tiefgarage heraus und geht übergangslos auf einen steilen Trail hinter dem Hotel den Berg hinauf. Weiter geht es auf einer Forststraße und dann auf der geteerten Arbeitsstraße der Seilbahnen bis hinauf zur Vider Alp. Wir überholen ein paar MTB-Fahrer die den Berg nur mit Muskelkraft erklimmen. Es ist so steil, dass die Kameraden die gesamte Wegbreite benötigen, um sich in künstlichen Serpentinen hochzuschrauben. Dabei machen sie kaum Fahrt und es nötigt mir allerhöchsten Respekt ab, wie sie es schaffen, ohne umzufallen die teilweise extrem steilen Stellen zu meistern.

Unser erstes Teilziel für heute ist die Vider Truja mit einer E-Bike Ladestation auf 2.320 m Meereshöhe. Die Ladestation ist vorbildlich ausgestattet mit Ladekabeln für alle gängigen Marken und zusätzlichen Schuko Steckdosen. Insgesamt können hier 20 E-Bikes gleichzeitig geladen werden. Wir sind die einzigen Verrückten an diesem Morgen und genießen während der Zwangspause die beeindruckende Aussicht auf das Bergpanorama.

Es geht weiter in Richtung Zeblasjoch. Am Zeblasjoch beginnt die Abfahrt nach Samnaun. Bevor wir den Adrenalinkick dieser spektakulären Abfahrt erleben dürfen, gilt es die höchste Stelle der gesamten Alpenüberquerung auf 2.700 m zu erklimmen. Es ist der Sattel unterhalb des Palinkopf der auf der Grenzlinie zwischen Österreich und der Schweiz liegt.

Von der Vider Alp gelangen wir auf einem flowigen Trail zum Aufstieg auf einer Schotterpiste. Den Trail teilen wir uns mit vielen Wanderern. Wir nehmen alle vorbildlich Rücksicht aufeinander und kommen somit gut aneinander vorbei und miteinander aus. Den Fahrspaß fördert der Publikumsverkehr jedoch wenig und wir hoffen, dass wir mit dem nächsten Trail in Samnaun mehr Glück haben.

Die Schotterpiste hinauf zum Zeblasjoch fordert alles von uns ab. Sehr steil und sehr grob geschottert, müssen wir ständig auf der Hut sein, dass unsere Vorderräder noch Bodenkontakt haben. Als ob das Kurbeln nicht schon anstrengend genug wäre, zehrt die Körperspannung und die andauernde Gewichtsverlagerung an den Kräften.

Oben angekommen erwartet uns ein strammer, eiskalter Wind und wir ziehen schnell unsere Windjacken an, um beim Fotografieren nicht zu erfrieren. Helden der Berge Selfie und Panoramabilder sind dank Smartphone schnell gemacht und schon geht es rasant hinunter nach Samnaun.

Viel zu schnell geht die Abfahrt zu Ende und wir bremsen ab zum Einkehrschwung in die Schmuggleralm. Die Preise auf der Speisekarte machen uns unmissverständlich klar, dass wir in der Schweiz angekommen sind. Die Preise sind uns wurscht, der Wurstsalat ist lecker und das isotonische Erfrischungsgetränk namens Weißbier löscht zuverlässig den Durst. Was will man mehr?

Nach der Stärkung geht es auf den Trail, der am Hang linksseitig talwärts führt. Wir haben Glück begegnen keinem einzigen Wanderer oder Radfahrer und genießen diesen herrlichen Trail durch den Wald der mit Wurzeln, Absätzen, engen Kurven, Gefälle und kleinen Steigungen viel Spaß macht.

Leider viel zu schnell zu Ende, führt uns die Strecke wieder auf die Straße und es geht äußerst rasant auf der rechten Talseite hinunter nach Martina. Die Strecke ist in den letzten Jahren renoviert worden und von den alten, unbeleuchteten, in den Felsen gehauenen Tunneln, gibt es nur nach zwei ganz am Anfang der Abfahrt. Da wir bei herrlichstem Sonnenschein in die unbeleuchteten Tunnel einfahren, wird uns richtiggehend schwarz vor Augen. Da hilft nur bremsen und durchtasten. Da beide Tunnel eine 90° Linkskurve machen, ist es gar nicht so einfach innigen Kontakt mit der Felswand zu vermeiden. Es kommt uns zum Glück niemand entgegen und alles geht gut.

In Martina angekommen finden wir uns inmitten eines Pulks Radfahrer einer geführten Tour wieder. Im Gegensatz zu uns haben diese Alpenüberquerer kein Gepäck dabei. Das reist im Bus von Hotel zu Hotel. Die Gruppe erklimmt die Norbertshöhe auf der Straße und wir gehen der Massenveranstaltung elegant aus dem Weg, indem wir gleich nach der Zollstation von der Straße abbiegen und den Berg über einen Trail erklimmen. Super steil, tiefer Boden, schmal und verdammt schwierig zu fahren. Wir verfluchen die Idee zwischendurch mit Inbrunst, legen das letzte Drittel auf der Straße zurück und kommen wenig später glücklich im Gasthof Martha in Nauders an.

Der Gasthof liegt strategisch günstig direkt an der Via Claudia Augusta. Die Via Claudia Augusta ist ein rund 700 km langer Fernradweg, der sich großteils an der gleichnamigen historischen Römerstraße, der Via Claudia Augusta, orientiert. Der Radweg führt vom bayrischen Donauwörth über die Alpen ins italienische Ostiglia am Po bzw. alternativ nach Quarto d’Altino bei Venedig an der Adria.*

Wir werden am nächsten Tag auf den Spuren der alten Römer wandeln und einen kleinen Teil der Via Claudia Augusta von Nauders über den Reschenpass nach Meran befahren.

Bevor wir ins Bett fallen, gibt es auf der Terrasse mit Ausblick auf den Reschenpass Kaspressknödel, Kässpatzen und zum Naschen eine Portion Pommes Frites dazu. Um die härteste Etappe der Tour zu feiern, bringt uns die freundliche Bedienung nicht nur einmal Bier und Willi an den Tisch.

Dienstag, 02. August 2022 -Tag 4 – 95 km – 800 hm

Wir entscheiden uns langärmlig gewandet die heutige Etappe zu starten. Es ist mit 11° C. recht frisch und wie immer am Reschen bläst ein ordentlicher Wind.

Bevor es losgeht, kontrolliere ich den Reifendruck und breche dabei beinahe den Stift im Ventil ab. Benny biegt das Malheur wieder gerade und wir rollen ohne weitere schuldhaften Verzögerungen los.

Kurzer Anstieg hoch zum Reschenpass und Reschen- als auch Haidersee zeigen sich von ihrer allerbesten Seite. Das Wasser reflektiert die Sonne, der Himmel ist blau mit weißen Wolken durchsetzt. Die Wälder und Wiesen leuchten grün und in der Ferne ist der schneebedeckte Ortler zu erkennen. Das ist schon fast Postkartenkitsch. Schöner geht es nicht mehr. Wir genießen jeden Augenblick und saugen die Eindrücke auf. Fällt uns leicht, denn es geht nach kurzem Anstieg auf den Reschenpass nun ohne nennenswerte Anstrengungen bergab.

Wir passieren das pittoreske, mittelalterliche Städtchen Glurns und versuchen den Vinschgau so schnell als möglich zu durchfahren. Wir wollen frühzeitig im Hotel ankommen, um von unseren Heldentaten berichten zu können und einen kühlen Drink zu genießen.

Der übliche Wind im Tal kommt von vorne. War ja klar! Wir treten wacker dagegen an und erreichen nach einer kurzen Kaffeepause in Göflan und einer rasanten Abfahrt in Algund, recht schnell Meran. Wir durchqueren die Kurstadt parallel zur Passerpromenade und machen uns an die letzten, aber dafür sehr steilen, 300 hm hinauf nach Schenna.

Auf dem Parkplatz vor dem Hotel lassen wir unsere Swiss Trail Bells erklingen und schließen glücklich und stolz unsere Frauen in die Arme.

Wir haben es geschafft! Wir sind Helden der Berge!

Zum Beweis gibt es die wohlverdiente Trophäe, den langersehnten Drink und danach strecken wir am Schwimmteich die Beine aus, lassen es uns gut gehen und denken über das nächste Abenteuer nach.

Nach dem Alpencross ist vor dem Alpencross!

*Wikipedia